Die Generation Selfie gibt es nicht nur über, sondern natürlich auch unter Wasser. Mit dem Siegeszug über Wasser war der Siegeszug einige Meter unter dem Meeresspiegel nur logische Konsequenz.
Anmerkung: Ich habe diesen Artikel im Jahr 2017 geschrieben, aber nie online gestellt. Meine Hoffnung in den letzten 7 Jahren, das Problem würde wieder verschwinden hat sich aber leider nicht erfüllt. Daher ging dieser Beitrag nun leider doch im September 2024 online.
Der Selfie-Stick – von manchen Zeitgenossen auch liebevoll Idioten-Zepter genannt – hat es also in die Equipmentliste der Unterwasser-Videografie geschafft. Seine Verwendung unter Wasser ist jedoch etwas anders als an Land.
Dies hat Konsequenzen. Noch nie, seit Hans Hass (kennt den noch jemand?) seine ersten Unterwasseraufnahmen machte, wurde unter Wasser so viel gefilmt. Noch nie so viele verwackelte Videos veröffentlicht. Noch nie so vielen Muränen eine ActionCam vor das Maul gedrückt.
Über das selbstverliebte „sich in Szene“ setzen einer ganzen Generation kann man denken was man will. Darum geht es hier nicht. Worum es in diesem Appell geht ist so etwas veraltetes wie Rücksichtnahme. Die Rücksichtnahme auf Meeresbewohner und andere filmende und fotografierende Taucher. Es folgt ein Appell…
Nur um eines von Anfang an richtig zu stellen. Ich habe nichts gegen die Verwendung von ActionCams unter Wasser. Im Gegenteil, für einen Großteil der filmenden Gelegenheitstaucher und tauchenden Gelegenheitsfilmer ist diese Kameragattung was Preis, Leistung und Ausstattung betrifft unschlagbar. Ja, ist sie doch eigentlich für viele überhaupt erst der Grund und Anreiz eine Kamera mit unter Wasser zu nehmen.
Ich tauche selbst gelegentlich mit einer ActionCam ab. Oftmals dann, wenn die gewünschte Aufnahme mit einer anderen Kamera gar nicht oder nur schwer zu machen ist oder wenn einfach Größe und Gewicht gegen die Verwendung meiner Hauptkamera sprechen. Auch als Reservekamera ist sie immer mit dabei.
Was ich jedoch dabei niemals mache, ist, die ActionCam auf einem dieser Selfie-Sticks zum Tauchen mitzunehmen. Warum? Das hat mehrere Gründe, die wichtigsten haben mit Rücksichtnahme zu tun.
1. Winzige Kamera an gut eineinhalb Meter langen Selfie-Sticks verführen dazu Aufnahmen zu machen, die man sonst gelassen hätte. Als da wären das bereits oben angedeutete Close-up einer Muräne. So nah würde ich mich dem Tier mit einer Kamera auf einer konventionellen Halterung niemals nähern. Auch hier aus Rücksichtnahme auf das Tier und aus Rücksichtnahme auf meine Gesundheit.
2. Rücksichtnahme gegenüber anderen filmenden Tauchern. Wenn man nicht gerade alleine mit seinem Buddy am Riff hängt, sondern mehrere Taucher mit Kamera in der Gruppe sind, dann sollte man vorab bereits klären, in welcher Reihenfolge man die jeweilige Attraktion filmt/fotografiert. Im Idealfall…
Die Realität sieht anders aus. Es gibt einen Oktopus zu sehen? Alles stürmt hin. War das in früheren Zeiten schon ätzend, so ist es jetzt einfach unerträglich.
Denn während vor wenigen Jahren noch alle gleichberechtigt waren, kann man heute fest davon ausgehen, ein superschlauer Selfie-Stick User wird die ActionCam ins Blickfeld der anderen Videografen schieben.
Das Ergebnis: Die einen haben einen Oktopus mit Selfie-Stick im Sucher, die anderen einen meist mehr oder weniger stark verwackelten Oktopus. Der wiederum alsbald das Weite suchen wird…
3. Rücksichtnahme auf das Publikum. Noch nie waren die technischen Möglichkeiten von Kameras mittels Schnittprogramm einfacher zu handhaben und zu korrigieren als heute. Gerade aufgrund der mangelhaften Stabilität, die so ein Selfie-Stick nunmal hat, ist die Zahl der verwackelten Aufnahmen groß und sollte entsorgt werden. Sie wird es aber leider nicht, sondern wird gnadenlos auf YouTube hochgeladen.
Auch im Vorfeld der Aufnahme wäre oft schon ersichtlich, wie wenig es Sinn macht an Putzer-Stationen für Mantas, die für gewöhnlich in starker Strömung liegen, eine schwankende Kamera in das Blickfeld der anderen Betrachter zu halten.
Wie auch immer, das geneigte Publikum daheim und bei YouTube bekommt die verwackelten Aufnahmen eiskalt serviert. Dabei kann man noch nicht einmal böse Absichten unterstellen, denn einen Manta vor der Tauchmaske beobachten zu können ist ein faszinierendes Erlebnis, das von vielen Tauchern um jeden Preis festgehalten und präsentiert werden will.
Es gibt außer diesen drei Punkten noch einen anderen Aspekt, den ich hier erwähnen möchte. Er gilt mit Sicherheit nicht für alle Besitzer von Selfie-Sticks, doch leider gibt es sie in dieser Personengruppe gefühlt überproportional zahlreich: die Tarier-Trottel!
Auch hier ist das Prinzip wieder Rücksichtnahme. Bitte, wenn ihr nicht so gut tarieren könnt, weil ihr gerade erst mit dem Tauchen angefangen habt, dann ist das absolut in Ordnung! So haben wir alle angefangen.
Aber bitte, bitte die Kamera gehört ins Hotelzimmer, bis ihr das Tarieren grundlegend beherrscht. Macht ein paar Tauchgänge, übt tarieren. Nehmt dann die Kamera mit, aber haltet euch zurück. Macht nur Aufnahmen, die ihr ohne Schaden hinbekommt. Vergesst die Flossen hinter euch nicht, wenn ihr vor euch den Seestern knipst. Die Riffe werden es euch danken.
Auch hier möchte ich klarstellen, ich gehöre nicht zu denen, die 100 Tauchgänge fordern, bevor jemand mit Kamera ins Wasser gehen darf.
Hier mein Outing: Ich habe seit meinem 10. Tauchgang immer eine Kamera um den Hals, denn bei meinem 9. Tauchgang bin ich ich einem Dugong (Seekuh) begegnet und die Kamera lag auf dem Zimmer.
Ich behaupte sogar, die Kamera hat mir bei meinen ersten Tauchgängen geholfen besser tarieren zu lernen, da man mit einem klaren Ziel vor Augen, das man anvisieren möchte, automatisch mit der Lunge die Feintarierung übernimmt. Doch bei dieser Vorgehensweise ist es eine unabwendbare Bedingung, die Kamera in kurzem Abstand vor meiner Maske zu halten und sie nicht an einem langen Selfie-Stick irgendwo vor mir zu haben.
Also nochmal mein Appell in wenigen Worten. Laßt uns unter Wasser alle etwas mehr Rücksicht auf uns und unsere Umwelt nehmen, das gilt natürlich auch für alle Taucher ohne Selfie-Sticks!
Nehmt das Filmen unter Wasser etwas ernster und haltet die Kamera stabil vor euch mit einem Kameragriff, der beide Hände erfordert (weitere Ratschläge wie das geht, findest du auch hier).
So, nun dürft ihr mich zum Teufel wünschen, wenn ihr anderer Meinung seid.
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